Mehr Mieter-Schutz und Überprüfung der aktuellen Verkaufspläne gefordert - Trotz des Zusammenbruchs der Finanzmärkte geht die Privatisierung von Arbeiterwohnungen im Ruhrgebiet weiter, wenn auch in kleinerem Stil. Die THS Wohnen in Gelsenkirchen, ein traditionsreiches Unternehmen, das inzwischen allein von der Evonik Immobilien GmbH und der Gewerkschaft IG BCE kontrolliert wird, steht unter Druck, weil eine Bundesbeteiligung an der THS für 450 Mio. Euro übernommen werden musste und jetzt refinanziert werden muss. Seit dem letzten Jahr häuft sich der Verkauf von Berg- und Bahnarbeitersiedlungen an Weiterverwerter und Finanzinvestoren. Nur ein Teil der MieterInnen ist über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus gegen Verdrängungen geschützt. Da mit Vorliebe ältere, nicht modernisierte Wohnungsbestände veräußert werden, befürchtet Mieterforum Ruhr auch eine Vernachlässigung der Siedlungen.
Anfang Januar teilte die THS ihren MieterInnen an der Hermannstr. 29-37 und am Trantenrother Weg 1 in Witten den bevorstehenden Verkauf der Wohnungen an eine "REIP P-second" mit Sitz in Luxemburg mit. Der Eigentümer sollte vertreten werden durch die "IGN Neumann GmbH & Co. Grundbesitz KG". Obwohl der Eigentumsübergang noch vollständig vollzogen war, erhielten die MieterInnen am 20.1. bereits ein Schreiben der "IGN Neumann". Der zukünftige Verwalter forderte die MieterInnen auf, die Miete zum 1. Februar auf ein neues Konto zu überweisen. Außerdem wurde ihnen eine neue Einzugsermächtigung und eine "unwiderrufliche" Abtretungserklärung über Forderungen an die Job-Agentur übersandt. "Eine ‚unwiderrufliche Abtretungserklärung’ über ALG II-Leistungen ist uns bislang noch nicht untergekommen", empörte sich der MieterInnenverein Witten.
Bei den günstig gelegenen Arbeiterhäusern an der Stadtgrenze zu Bochum handelt sich um Wohnungen aus dem früheren Bundeseisenbahnvermögen. Diese wurden im Zuge der ersten Stufe der Bahnprivatisierung an unterschiedliche Eigentümer veräußert, darunter auch die Vestische Wohnungsgesellschaft mit Sitz in Herne. Diese Wohnungsgesellschaft wurde dann von der THS gekauft und im letzten Jahr komplett unter THS Wohnen eingegliedert.
"Der Kaufpreis war noch gar nicht voll geflossen. Die Miete darf erst auf ein neues Konto gezahlt werden, wenn die THS dafür den Termin selbst mitteilt", riet der MieterInnenverein den MieterInnen. Und: "Die Mieterinnen und Mieter sollten nichts unterschreiben und bis auf weiteres an die THS zahlen."
Die THS bestätigte, dass die Mietzahlungsforderungen der IGN Neumann verfrüht erfolgten. Zwar sei zum 31.12.2008 veräußert worden, die Februar-Miete müsse aber auf jeden Fall noch an die THS gezahlt werden. Nach THS-Angaben hat sich die IGN Neumann bei ihren Schreiben "geirrt".
Nach Informationen von Mieterforum Ruhr sind etwa 600 Wohnungen im Ruhrgebiet von dem Verkauf an "REIP" betroffen. Der Kaufpreis soll bei 8,5 Jahresmieten liegen.
Bei dem Käufer handelt es sich um Gesellschaften mit geringem Stammkapital, die im letzten Jahr im Steuerparadies Luxemburg von dem Bochumer Immobilienhändler Peter Bollmann gegründet wurden. Die in Witten aktive Verwaltungsgesellschaft "IGN Neumann" residiert an der gleichen Adresse wie die "Bollmann Liegenschaften" und auch die "REIP GmbH": Querenburger Straße 40 in Bochum. Bollmann vertritt auch die "REIP Portfolio Holding", eine weitere Firma in Luxemburg. Die "REIP Holding" will nach Presseberichten im letzten Jahr über 1600 Wohnungen im Ruhrgebiet erworben haben. Ebenfalls wurden über 600 schlecht instand gehaltene Wohnungen in Hanau erworben.
Welche Strategie der neue Eigentümer mit den Immobilien verfolgt ist unklar. Die Mietervereine in der Arbeitsgemeinschaft Mieterforum Ruhr befürchten, wie in anderen Fällen üblich, schnelle Weiterverkäufe von Teilbeständen, Vernachlässigung der Instandhaltung, Verschlechterungen beim Service sowie eventuell auch die Aufteilung und den Weiterverkauf an Selbstnutzer - die größte Gefahr für die jetzigen MieterInnen. Dass sich der neue Vermieter schon vor dem endgültigen Eigentumsübergang die Konto-Daten und ALG-Leistungen der Wittener MieterInnen zu beschaffen versucht, ist ein schlechtes Vorzeichen.
Bereits im letzten Sommer war der Verkauf einer THS-Siedlung in Hamm-Herringen an den bekannten Weiterverwerter "Häusser-Bau" aus Bochum auf Kritik der Mieterschützer gestoßen. Die Häusser-Bau ist dafür bekannt, dass sie Arbeitersiedlungen schnell aufteilt und an Selbstnutzer weiter verkauft. Dabei geraten die bisherigen MieterInnen unter Verdrängungs- und Kaufdruck. Um diese Gefahren zu verringern, können durch Zusätze in den Kauf- und Mietverträgen Eigenbedarfskündigungen ausgeschlossen werden. Derartige Dauerwohnrechte sind für Bergbauangehörige auch zwingend vorgesehen. Trotzdem wurden sie bei dem Verkauf in Hamm in Mieteranschreiben nicht einmal erwähnt. Außerdem kommen keineswegs alle MieterInnen in den Genuss dieser Regelungen. In Bergkamen-Oberaden wurden im vergangen Jahr Wohnungen an eine „LM Dritte Portfolio“ veräußert. Bereits im Januar 2009 gab es Mieterhöhungen, die zu Unruhen unter den MieterInnen führten. Die IG BCE-Ortsgruppe hält eine baldige Mieterversammlung für erforderlich.
Auch bei den ehemaligen Eisenbahnerwohnungen gelten für MieterInnen, die bei der Bahn beschäftigt sind, verbindliche Schutzregelungen. So sind Eigenbedarfskündigungen grundsätzlich ausgeschlossen, Mietsteigerungen vertragliche begrenzt und Modernisierungen bedürfen der Zustimmung der MieterInnen. Aber nur ein kleiner Teil der jetzigen MieterInnen kommt noch in den Genuss dieser Vereinbarungen. In Witten sind es 6 von über 40 betroffenen Mietparteien.
Außerdem regeln die Kaufverträge der THS nichts zur zukünftigen Instandhaltung der Wohnungen. Bereits vor dem Verkauf zeichnete sich bei der betroffenen Siedlung in Witten ein deutlicher Nachholbedarf ab. Türen waren beschädigt, Keller nass, die Wärmedämmung völlig unzureichend. Die IGN Neumann hat in der Presse inzwischen verkündet, "Sanierungen" zu planen.
Die THS, die ursprünglich von den Bergbauarbeitgebern, der Gewerkschaft IG BCE und dem Bund kontrolliert wurde, steht unter Druck. So musste die THS die Bundesbeteiligung an der THS für 450 Mio. Euro übernehmen und muss diese jetzt refinanzieren. Neben der IG BCE ist heute die Evonik Immobilien GmbH Anteilseignerin der THS. Evonik Industries erwartet ebenfalls eine erhebliche Rendite. Der Weiterverkauf von ganzen Siedlungen an Finanzinvestoren ist die zwangsläufige Folge.
Mieterforum Ruhr fordert, die aktuellen Verkaufspläne zu überprüfen. Insbesondere müsse nach den Vorfällen in Witten geprüft werden, ob die Käufer tatsächlich für eine nachhaltige und mieterfreundliche Bewirtschaftung der Bestände geeignet seien.
In Zukunft müssten die Käufer auf jeden Fall genauer überprüft werden und es müsse auch über Alternativen zum Verkauf an Investoren nachgedacht werden.
"Für alle MieterInnen der THS muss es im Verkaufsfall verbindliche Bestimmungen für den Schutz vor Verdrängungen geben", fordert Mieterforum Ruhr. „Eine verbindliche THS-Sozialcharta sei unerlässlich."
In der nächsten Woche soll es zu den Verkaufsvorgängen ein Gespräch von Mieterforum Ruhr mit der THS geben.
Von Verkäufen bei der THS betroffenen Mieterinnen und Mieter können sich gerne beim Mieterforum Ruhr und den Mietervereinen Bochum, Dortmund, Witten sowie der Mietergemeinschaft Essen melden.
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