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1. März 2022 (Bundespolitik)

Klimaneutrales Bauen: Passivhausstandard auch im Bestand erreichbar

Interview mit Jan Steiger, Mit-Geschäftsführer des Passivhaus-Instituts, das seit mehr als 25 Jahren unabhängig zur Entwicklung von Baukonzepten, Baukomponenten, Planungswerkzeugen besonders energieeffizienter Gebäude forscht.

Mieterforum: Herr Steiger, klimaneutraler Neubau klingt gut. Wie sieht die gesamte Energiebilanz aus, wenn dafür bestehende Gebäude abgerissen werden?

Jan Steiger: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Das hängt von der Bauweise des Neubaus ab - derzeit wird viel diskutiert, ob Holzbauten durch den gebundenen Kohlenstoff eine relevante Kohlenstoffsenke im Klimasystem darstellen können - und von seinem Energiestandard. Gebäude benötigen für ihren Bau einiges an Energie, unter anderem für die Herstellung der Baumaterialien. Der deutlich größere Energiebedarf fällt jedoch während der jahrzehntelangen Nutzungsphase eines Gebäudes an. Erst beim hoch effizienten Passivhaus-Standard ist der Energieverbrauch während des langen Lebenszyklus so gering, dass er mit dem Energiebedarf für den Bau des Hauses ungefähr auf einer Höhe liegt. Die Faustregel heißt hier: Besser abreißen und hocheffizient neu bauen als nichts zu tun.

Mieterforum: Gibt es Faustregeln, wann eine Sanierung energetisch günstiger ist als ein Abriss und der Neubau eines Wohngebäudes?

Jan Steiger: Eine Sanierung ist dann energetisch günstiger, wenn auf einen zukunftsweisenden Effizienzstandard wie den EnerPHit-Standard saniert wird und dem ansonsten ein weniger effizienter Neubau gegenübergestellt würde. Die Faustregel heißt hier also: Besser effizient sanieren, als minderwertig neu bauen.

Mieterforum: Welche Perspektiven sehen Sie für die zahlreichen Siedlungen der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet?Hier sind, je nach Baualter, häufig die gleichen Gebäudetypen zu finden.

Jan Steiger: Die Nachkriegsgebäude lassen sich vergleichsweise leicht in hoch energieeffiziente Gebäude verwandeln. Sie haben klare Grundrisse und Denkmalschutz spielt (meist) keine Rolle. Hier lohnt sich eine sorgfältige Planung der Sanierung, die sich dann für viele ähnliche Gebäude genauso anwenden lässt. Auf diese Weise können Zeit und Kosten gespart werden. Ein Gewinn für das Klima und die Bewohner, die von den geringen Energiekosten sowie dem deutlich erhöhten Wohnkomfort profitieren.

Mieterforum: Sie erforschen europaweit Sanierungsprojekte. Gibt es gute Beispiele für die Modernisierung ganzer Siedlungen, die auch das Thema Mieterschutz und Bezahlbarkeit einbezogen haben?

Jan Steiger: Die Erfahrungen mit der Sanierung von kompletten Siedlungen werden zu einem großen Teil gerade gemacht. Ein gutes und bereits abgeschlossenes Beispiel sind die Sanierungsprojekte in Innsbruck im Zuge des EU-Projekts SINFONIA.
www.sinfonia-smartcities.eu/de/demo-stadte/innsbruck.

Ziel des Projekts ist es, rund 60.000 m² Wohnfläche in Wohngebäuden der 1930 - 1980er Jahren zu sanieren, um deren Energiebedarf um bis zu 80 % zu reduzieren sowie die Raumluftqualität signifikant zu verbessern.

Im Rahmen von SINFONIA wurden insgesamt 30 Wohngebäude mit über 700 Wohneinheiten modernisiert. Davon sind rund 450 Wohneinheiten sogar nach dem EnerPHit-Standard zertifiziert, dem hoch energieeffizienten Standard für die Sanierung mit Passivhaus Komponenten.

Mieterforum: Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit das Ziel der Bundesregiereng, einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 zu realisieren, erreicht werden kann?

Jan Steiger: Jeder Neubau, jede Komplettsanierung sowie jede schrittweise durchgeführte Sanierung muss einen zukunftsweisenden Energieeffizienzstandard erreichen. Insbesondere bei Sanierungen ist es unumgänglich, so energieeffizient zu sanieren, dass die derzeitigen Neubaustandards noch übertroffen werden. Sonst wird es uns nicht gelingen, den Gebäudebestand so zu modernisieren, dass Gebäude in Zukunft auch im Winter flächendeckend mit der verfügbaren erneuerbaren Energie versorgt werden können.

Mieterforum: Was bietet das Projekt outPHit?

Jan Steiger: Das von der Europäischen Union geförderte Projekt outPHit beabsichtigt, insbesondere bei zügig ablaufenden Sanierungslösungen, beispielsweise mit Vorfertigungskonzepten, zuverlässig eine hohe Energieeffizienz sicher zu stellen. Angestrebt wird der hoch effiziente EnerPHit-Standard. Insbesondere bei schnellen und vorgefertigten Sanierungssystemen besteht wenig Möglichkeit, während des Sanierungsprozesses qualitätssichernd einzugreifen.

Die Systeme müssen also von vorne herein in sich stimmig sein und über funktionierende Konzepte zum Beispiel für Luftdichtheit und wärmebrückenfreie Anschlüsse verfügen. Nur so können die Sanierungsarbeiten mit möglichst wenig zusätzlicher Planung oder Anpassung vorgenommen werden.


Mit vorgefertigten Elementen wird die Durchführungszeit der energetischen Sanierung kürzer, die Beeinträchtigung der Bewohner dadurch geringer, da zum Beispiel die Sanierung vorwiegend von außen durchgeführt werden kann und zudem das Gerüst nicht so lange stehen muss.

Mieterforum: Mit Passivhäusern verbinden viele Mieter:innen nach wie vor zahlreiche Vorurteile. Wie ist der aktuelle Stand der Technik?

Jan Steiger: Das Gegenteil ist der Fall: Gerade Gebäude im Passivhaus-Standard sowie Häuser, die mit Passivhaus-Komponenten zum EnerPHit-Standard saniert wurden, zeichnen sich aufgrund Ihrer hohen Dämmqualität von Bauteilen und Fenstern sowie den geringen Wärmebrücken dadurch aus, dass sie frei von Schimmel und Tauwasser sind.

Durch die mechanische Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung wird konstant vorgewärmte Frischluft in die Räume eingebracht. Durch die geringe Luftgeschwindigkeit entsteht auch keine Zugluft. Durch einen geeigneten Aufstellungsort der Lüftungsanlage und entsprechende Schalldämpfer im Kanalsystem wird auch vermieden, dass Schall emittiert beziehungsweise übertragen wird.

Das alles ist keinesfalls Zukunftsmusik, das Passivhaus-Konzept ist seit 30 Jahren in der Praxis bewährt und Stand der Technik. Seit dem Bau des weltweit ersten Passivhauses Anfang der 1990er-Jahre in Darmstadt haben viele Bauherren und Baufrauen äußerst positive Erfahrungen mit dem Wohnen und Arbeiten in Passivhaus-Neubauten und mit Passivhaus-Komponenten sanierten Gebäuden gemacht. Die hohe Wohnqualität und der äußerst geringe Energieverbrauch wurden darüber hinaus durch zahlreiche wissenschaftliche Messprojekte wiederholt nachgewiesen.


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