Zwischen alle Stühle gesetzt haben sich die Bochumer Grünen mit einem Parteitagsbeschluss zum Wohnungsbau Ende Juni. Der Bebauungsplan „Hinter der Kiste“ in Bochum-Linden sollte das letzte Baugebiet auf der grünen Wiese sein, dem die Ratsfraktion der Partei zustimmt. Acht weitere Vorhaben im Stadtgebiet, die in Planung sind, sollten ausgesetzt werden. Der Enttäuschung der Lindener Bürgerinitiative folgte ebenso schnell der Aufschrei der SPD. Nichts weniger als „Wortbruch“ warfen sie dem Koalitionspartner vor. Denn diese acht Bauvorhaben waren im „Handlungskonzept Wohnen“ gemeinsam beschlossen worden.
Auch der Mieterverein reagierte irritiert. „Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass die Grünen beim Wohnungsbau vorpreschen, ohne das Ergebnis der Evaluation des Handlungskonzepts Wohnen abzuwarten“, sagte Geschäftsführer Michael Wenzel. Diese Evaluation solle vorrangig über die neu gegründete „Allianz für Wohnen“ gesteuert werden und habe noch nicht einmal begonnen.
Hintergrund der Grünen-Kehrtwende: Überall, wo auf bisher unberührten Freiflächen gebaut werden soll in Bochum, regt sich heftiger Widerstand durch Bürgerinitiativen. Diese pochen auf Vorrang für den Klimaschutz; immerhin habe der Rat der Stadt Bochum zum Klimanotstandsgebiet erklärt. Und Bochum liegt bereits auf Platz 9 in der Liste der Großstädte mit der höchsten Flächenversiegelung in Deutschland.
Akribisch hatten die Grünen aufgelistet, wie positiv sich der Wohnungsbau in Bochum seit 2017 entwickelt habe: 2.000 fertiggestellte Wohneinheiten, 4.200 weitere im Bau oder in konkreter Planung sowie 3.300 Einheiten im frühen Planungsstadium. Damit seien die Ziele des Handlungskonzepts Wohnen erreicht. Bei weiterem Wohnungsbau drohten Leerstände ab 2030, auch, weil die Bevölkerungsentwicklung rückläufig sei.
Ob sie das wirklich ist, bleibt umstritten. Tatsächlich lag die Bevölkerungszahl Ende 2020 bei 371.000. Das übertrifft selbst die oberste von drei für das Handlungskonzept Wohnen ausgerechneten Prognosen. Die unterste sah Bochum 2020 bei 367.000. Für Frank Taschner, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, ist das jedoch gar nicht so wichtig: „Entscheidend ist, dass es uns absehbar gelingt, 10.000 neue Wohnungen zu bauen. Da muss man den Zielkonflikt zwischen Flächenschonung und Wohnungsbau anders beantworten als 2017.“
Eine Woche nach dem Hauskrach fand die Koalition aus Rot und Grün im Rathaus einen Kompromiss. Die Grünen rückten von ihrem kategorischen Nein ab, die SPD sagte eine erneute Prüfung aller acht Flächen zu.
Für den Mieterverein standen bei all der Aufregung ohnehin die falschen Fragen im Vordergrund. Michael Wenzel: „Keine Aussagen darüber, dass der soziale Wohnungsbau nicht funktioniert und wie das geändert werden könnte. Keine Ideen dazu, wie man aktuell noch vorhandene bezahlbare Wohnungsbestände sichern will. Das wäre aber Angesicht galoppierender Neuvermietungspreise dringend notwendig. Keine Aussage darüber, wie die städtische VBW gemeinwohlorientiert umgebaut werden könnte, um deren Bestände bezahlbar zu halten. Insbesondere bei der SPD keine Vorstellungen darüber, wie mit Leerständen umgegangen werden soll.“
Bei den ganzen Diskussionen wurde ein wichtiger Satz in dem Grünen-Beschluss übersehen: „Dabei ist es endlich auch geboten, dass man den Wohnungsbestand und die dortigen Sanierungspotenziale untersucht.“ Das fordert der Mieterverein seit Jahren.
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