Wohnungspolitik > Aus den Städten
7. September 2020 (Aus den Städten)

VBW-Mieter in Bochum: Abriss-Angst in der Vogelsiedlung

Die Vogelsiedlung in Bochum Grumme ist in die Jahre gekommen. Die Fassaden sind fleckig, von den Balkonbrüstungen blättert die Farbe ab, an manchen Stellen gibt es Feuchtigkeitsschäden. Aber die Mieten sind erschwinglich, die Bausubstanz ist gesund. Und das Umfeld ist wunderbar grün mit vielen alten Bäumen, die Nachbarschaft intakt. Doch seit Wochen sind die Mieter in Angst – das Schreckgespenst des Abrisses geht um.

2013 hat die Eigentümerin der Siedlung, die städtische VBW, die Mieter zu einem Infoabend ins nahe Gasthaus Goeke an den Grummer Teichen eingeladen. Es wurde eine umfassende Sanierung versprochen, bunte Prospekte verteilt. Geschehen ist nichts in den sieben Jahren seither. „Anfang des Jahres sind wir hellhörig geworden“, erzählt Grazyna Stargalla, Mieterin am Spechtsweg. „Denn da wurden plötzlich freiwerdende Wohnungen nicht mehr vermietet. Bis dahin hat man allen neuen Mietern das Gleiche gesagt wie uns damals: Es wird saniert.“ Inzwischen stehen 5 der 48 Wohnungen leer.

Die übrigen Mieter wandten sich im Frühjahr an OB Thomas Eiskirch. Der mochte zwar keine Stellung beziehen, kündigte aber eine Stellungnahme der VBW an. Die kam auch, fiel aber so vage aus, dass sie die Mieter erst recht alarmierte: Mann wisse noch nicht, wohin die Reise gehe, man prüfe alle Optionen von Modernisierung bis zum Abriss, eine Entscheidung ergehe frühestens Ende September.

Das macht misstrauisch. Ende September ist erst nach der Kommunalwahl. Die Gewohnheit, schlechte Nachrichten erst nach Wahlen zu überbringen, hat auch in Bochum Tradition. Die VBW ist ein städtisches Unternehmen, und eine gute Nachricht könnte man gut und gerne auch vor der Wahl verbreiten. Niemand hier mag glauben, dass es der VBW seit sieben Jahren nicht möglich sein soll, Ross und Reiter zu nennen, aber im September soll es dann plötzlich so weit sein.

Ein Blick in die Nachbarschaft beruhigt auch nicht gerade. Die Häuser im Karree Spechtsweg, Amselweg und Heckertstraße sind zweigeschossig. Direkt daneben gibt es doppelt so hohe Gebäude. Also könnte nach einem Abriss das doppelte an Wohnfläche neu gebaut werden – und entsprechend mehr Miete eingenommen werden.

Die Grummer Mieter sind ein quirliges Völkchen und nicht gewillt, die Hände in den Schoß zu legen. Als erstes kam eine Unterschriftensammlung, dann machten sie Presse, Funk und Fernsehen auf ihre Lage aufmerksam. Auf einer Infoveranstaltung, zu der der Mieterverein eingeladen hatte, wurde ein Mieterrat gebildet, der den Kampf für den Erhalt der Siedlung koordiniert. Nach einem gemeinsamen Bastelabend wurde die Siedlung mit Plakaten und Transparenten dekoriert: „Rettet die Vogelsiedlung!“ heißt es darauf und „Erhaltet preiswerten Wohnraum!“.

Am 27. August zogen 35 Mieterinnen und Mieter aus der Siedlung zum RuhrCongress, wo zum letzten Mal vor der Wahl der Rat tagte, und verteilten Flugblätter: „Für uns Mieterinnen und Mieter, die teilweise 60 Jahre hier wohnen, ist diese Hinhalterei unerträglich“ heißt es darin. „Die VBW gehört zu fast 80 % der Stadt. Die Stadt Bochum hat eine Mehrheit in allen Gremien der VBW und damit maßgeblichen Einfluss auf deren Geschäftspolitik. Wir fordern Sie auf: Nutzen Sie diesen Einfluss! Beenden Sie die seelische Grausamkeit in Grumme!“

Für den Mieterverein ist es vor allem ein Kampf um den Erhalt der wenigen noch preiswerten Wohnungen in Bochum – die Durchschnittsmiete im Viertel liegt bei 5,58 € pro qm. Sprecher Aichard Hoffmann: „Egal, ob man hier abreißt und neu baut oder ‚nur‘ modernisiert, die Miete wird nachher eine andere sein, und viele der heutigen Mieterinnen und Mieter wird sie sich nicht mehr leisten können. Dabei ist das, was hier gebraucht wird, nichts, was ein verantwortungsbewusst handelnder Vermieter nicht ohnehin im Rahmen seiner laufenden Instandhaltungsverpflichtungen tun würde.“ Der Grund, warum diese nicht längst erfüllt sind, liegt auf der Hand: Instandhaltungsmaßnahmen führen nicht zu Mieterhöhungen – die Kosten trägt allein der Vermieter.


>>> Rechtsberatung für Mieterinnen und Mieter
 

Twitter


Arbeitsgemeinschaft der Mietervereine Bochum, Dortmund, Witten, Mietergemeinschaft Essen

Kontakt | Sitemap | Datenschutz | Impressum