Im vergangenen Jahr, dem Internationalen Jahr der Genossenschaften, ist viel zur Geschichte und Bedeutung von Genossenschaften geschrieben worden. Aus gutem Grund. Idee und Organisationsform der Genossenschaft bergen vielfältige Potenziale, die noch längst nicht ausgeschöpft sind.
In Deutschland gibt es mehr als 7.500 Genossenschaften mit fast 21 Mio. Mitgliedern. Nach einer längeren Phase der Stagnation von den 1960er bis 1990erJahren ist in den letzten Jahren eine Zunahme von Genossenschaftsgründungen zu beobachten. Neben den traditionellen Arbeitsbereichen, wie Ein- und Verkauf und Wohnen sind neue Tätigkeitsfelder wie z. B. Energiegenossenschaften, Ärztegenossenschaften oder Dorfläden, hinzugekommen. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die Genossenschaftsidee für aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen von Bedeutung ist. Dies gilt auch für den Bereich des Wohnens und der Stadtentwicklung.
Die Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften hat im Jahr 2004 festgestellt, dass es in Deutschland rund 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit fast 2,9 Mio. Mitgliedern gibt. Damit macht der genossenschaftliche Wohnungsbestand ca. 10% aller Mietwohnungen aus und sichert den Wohnraum von rund 5 Mio. Menschen.
Die Wohnungsgenossenschaften zeichnen sich durch eine hohe Heterogenität hinsichtlich Größe, Wohnungsbestand und Unternehmenskultur aus. Sie reichen von sehr kleinen Genossenschaften mit zehn Wohneinheiten bis hin zu großen Unternehmen mit über 10.000 Wohnungen. Ein Großteil der Genossenschaften kann auf eine lange Tradition zurückblicken, doch Neugründungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Hier handelt es sich häufig um soziale Projekte im Bereich des gemeinschaftlichen Wohnens, z. B. Mehrgenerationen-Wohnen, Wohnen mit Kindern und ökologisches Wohnen.
Was macht nun die genossenschaftliche Idee aus? Genossenschaften sind gesellschaftliche Vereinigungen, die sich durch die Grundsätze der gemeinschaftlichen Selbsthilfe mit möglichst viel Selbstverwaltung und Selbstverantwortung auszeichnen. Sie verfolgen einen von ihren Mitgliedern bestimmten gemeinsamen Zweck, der bei Wohnungsgenossenschaften vor allem auf eine gute und sichere Wohnungsversorgung der Mitglieder zielt.
Für Wohnungsversorgung und Stadtentwicklung sind insbesondere drei Aspekte bedeutsam:
Sicheres und kostengünstiges Wohnen
Wohnungsgenossenschaften bieten ein besonders sicheres Wohnen mit einem lebenslangen Nutzungs- bzw. Wohnrecht. Aufgrund des Prinzips der kostendeckenden Bereitstellung von Wohnraum zahlt ein Genossenschaftsmitglied häufig eine im Vergleich mit anderen Anbietern günstigere Miete bzw. ein Nutzungsentgelt.
Träger für innovative Wohnformen
Durch die gemeinschaftliche Organisation der Bewohnerinnen und Bewohner sind Genossenschaften in besonderer Weise als Träger für innovative Wohnformen geeignet. Selbstbestimmung und -verwaltung sowie das Interesse an Gemeinschaft zeichnen Wohnprojekte aus, die zunehmend auch als Genossenschaft realisiert werden. Damit bieten Wohnungsgenossenschaften qualitätsvolle Alternativen für unterschiedlichste Zielgruppen an. Allerdings gibt es durchaus auch Probleme: Die Gründung einer neuen Genossenschaft erfordert neben dem nötigen Know-how ausreichendes Eigenkapital, das insbesondere für die Zielgruppen neuer Genossenschaftsvorhaben häufig eine unüberwindbare Hürde darstellt.
Bedeutung von Wohnungsgenossenschaften für die Stadtentwicklung
Seit einiger Zeit wird über die Rolle von Wohnungsgenossenschaften als Akteur in der Stadtentwicklung diskutiert. Im Gegensatz zu Einzeleigentümern bieten Genossenschaften Organisationsstrukturen im Stadtteil an, die als Anknüpfungspunkt für andere Akteure und Maßnahmen im Wohnumfeld genutzt werden können. Grundlage ihrer Arbeit ist die Mitgliederorientierung und damit das gute Zusammenleben in der Gemeinschaft, nicht eine Optimierung der Rendite. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass sich die Gemeinschaftsorientierung der Genossenschaft auch auf den Stadtteil ausdehnen und zur Stabilität und Attraktivität beitragen kann.
Dem genossenschaftlichen Ideal – eine Gemeinschaftsorientierung, die zu einer Gemeinwohlorientierung werden kann – steht die Realität von Wohnungsgenossenschaften als Wirtschaftsunternehmen gegenüber. Trotz der Mitgliederorientierung sind sie, wie alle anderen Anbieter auch, den Zwängen des Wohnungsmarktes unterworfen. Es gilt also, eine Balance zwischen dem Ideal und der wohnungswirtschaftlichen Realität zu schaffen. Dabei kann die Gemeinschaftsorientierung von Genossenschaften durchaus auch als Wettbewerbsvorteil gesehen werden, die eine Reihe von Anknüpfungspunkten zum Umgang mit aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen bietet.
Dr. Anja Szypulski
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