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16. Januar 2023 (Aus den Städten)

Soziale Stadtführung: Die Stadt von unten

Die Reinoldikirche, das Hafenamt oder der Florian sind Anlaufstellen für Touris und rausgeputzte Wahrzeichen auf nahezu jeder Stadtführung durch Dortmund. Eine ganz andere Perspektive bietet die Soziale Stadtführung von bodo e.V., dem gemeinnützigen Verein, der auch das gleichnamige Straßenmagazin herausgibt. Hier erfahren Teilnehmer:innen etwas über die Anlaufstellen für all jene, die auf der Straße leben. Wir vom Mieterforum haben eine dieser Touren begleitet.

Das Wetter an diesem Samstagvormittag passt zum Herbst: wolkig, leichter Nieselregen und etwas ungemütlich. Startpunkt der Führung ist der Nordmarkt-Kiosk der Diakonie an der Mallinckrodtstraße. Ein gutes Dutzend interessierter Menschen hört, was Dennis, ihr Stadtführer am heutigen Tag, über die Soziale Stadtführung, das Leben auf der Straße und dessen besondere Herausforderungen zu berichten hat. Schnell wird klar, dass Dennis weiß, wovon er spricht: Vier Jahre lebte der 29-Jährige auf der Straße, bevor er nach und nach durch den Verkauf der Straßenzeitung zurück in ein geregeltes Leben fand. Jetzt ist er fest beim Verein angestellt, zeigt den Teilnehmer:innen wichtige Anlaufstellen für wohnungslose oder in prekären Verhältnissen lebende Menschen und macht auf die alltäglichen Hindernisse aufmerksam, die sie überwinden müssen.

Nordmarkt und Kana-Suppenküche

Dass die Tour am Nordmarkt startet, passt gut. Zum einen gibt es hier mit dem Kiosk der Diakonie und der Kana-Suppenküche, ein paar Meter weiter die Mallinckrodtstraße runter, gleich zwei Angebote, zum anderen gilt insbesondere der Nordmarkt immer noch als Treffpunkt der Trinker- und Drogenszene.

Immer wieder macht Dennis auf Probleme aufmerksam, die wahrscheinlich viele Leute gar nicht auf dem Schirm haben, wenn sie von Obdachlosigkeit hören. Klar, man denkt an Schlafplätze und Orte, an denen sich die, die auf der Straße leben, waschen können. Dabei fangen die Hindernisse bereits bei viel banaleren Sachen, wie dem Gang auf die Toilette an. Es gibt so gut wie keine kostenlosen, öffentlichen Toiletten in der City, die rund um die Uhr geöffnet sind. Eine einfach Durchfallerkrankung wird dann schnell zum Problem.

Esstisch: Mittelstreifen

Auch die Corona-Epidemie hat das Leben von Wohnungslosen erschwert. Viele Angebote fielen eine Zeit lang weg, manches ist aufgrund von Hygienevorschriften weiterhin nur eingeschränkt möglich. So verteilt die Kana-Suppenküche seit Beginn der Pandemie das Essen durch ein Fenster. Die 200 bis 300 Gäste nehmen ihre Mahlzeit auf der Straße ein, nicht wenige nutzen dafür den Mittelstreifen der stark befahrenen Mallinckrodtstraße. Und so verschwindet zwischen Abgasen und hupenden Autos ein weiteres Stück Menschenwürde.

Café Berta

Dennis führt die Gruppe ein paar Straßen weiter zum Café Berta, dem öffentlichen Trinkraum. Hier können sich Besucher:innen nicht nur aufhalten, sondern auch verschiedene Beratungsangebote der anwesenden Sozialarbeiter wahrnehmen. Der Stadtführer berichtet dabei auch von seinen persönlichen Erfahrungen, die er auf der Straße gemacht hat. Und gibt der Gruppe damit Einblicke, die nachwirken und im besten Falle dafür sorgen, dass die Teilnehmer zukünftig die Bettlerin in der Fußgängerzone oder den Trinker auf der Parkbank mit etwas anderen Augen sehen. Überhaupt erst einmal sehen. So erzählt Dennis, wie wichtig es für Menschen auf der Straße ist, ein Essen oder ein Getränk auch selbst bezahlen zu können. Für den heißen Tee ein paar Cent bezahlen zu können oder dürfen, gibt es wenig Normalität und das gute Gefühl, nicht nur auf Almosen angewiesen zu sein.

Hygienezentrum

Weiter geht es Richtung Wall, zum Hygienezentrum in der Leuthardstraße. Dreimal in der Woche können sich Besucher:innen hier duschen, waschen und neue Kleidung bekommen. Möglich machen das bodo, das Gast-Haus, der Paritätische und das Team vom Herzensbus der Malteser. Mehrmals im Jahr kommen auch die Barber Angels vorbei, ein inzwischen international agierender Verein von Frieseur:innen, die Bedürftigen kostenlos die Haare schneiden. Optisch immer gut zu erkennen, an ihren schwarzen Lederkutten, die an einschlägige Rocker- und Motorradclubs erinnern.

Dennis weist auf viele weitere Angebote hin, die unsere Gruppe heute aus Zeitgründen nicht ansteuert, wie etwa das Gast-Haus in der Rheinischen Straße oder Männerübernachtungsstelle in der Unionstraße. Andere Angebote liegen teilweise in anderen Stadtteilen, die Frauenübernachtungsstelle in Dortmund-Hörde zum Beispiel. Auch dies wieder: eine Hürde für ein Klientel, dass sich oft in Innenstadtnähe aufhält.

Drobs, Soziales Zentrum und bodo

Am Schwanenwall kommt die Gruppe schließlich zum Sozialen Zentrum mit der Drogenberatung. Neben zahlreichen Hilfsangeboten für Drogenkonsument:innen gibt es dort seit Anfang November auch eine Schlafstelle in der bis zu 20 drogensüchtige Wohnungslose die Nacht verbringen können. Was auffällt: Viele Angebote für Obdachlose beschränken sich auf Werktage. Dennis bestätigt den Eindruck: An Sonn- und Feiertagen sind Menschen auf der Straße noch mehr als sonst auf sich selbst gestellt. Wenn der Rest der Gesellschaft am Wochenende eine Pause macht, wird es einsam auf der Straße.

Ein paar Schritte weiter am Schwanenwall hat bodo seinen Sitz und betreibt im Erdgeschoss einen Second-Hand-Buchladen. Hier kann jeder für wenig Geld gut erhaltene Bücher kaufen. Die Auswahl: riesig. Nach gut zwei Stunden endet die Führung schließlich an der bodo-Ausgabestelle in der Schwanenstraße, wo sich die bodo-Verkäufer:innen die aktuellen Ausgaben abholen, die sie dann für 2,50 Euro an Passanten verkaufen. Die Hälfte des Erlöses bleibt direkt bei den Verkäufer:innen.

Die etwa zweistündige Soziale Stadttour kostet 12,50 Euro und findet regelmäßig am zweiten Samstag im Monat in Dortmund und am dritten Samstag im Monat in Bochum statt. Anmeldungen telefonisch unter 0231 – 950 978 0 oder per E-Mail unter touren@bodoev.de.



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