Anfang Februar zeigte der Winter noch einmal seine kalte Schulter. Dauerfrost mit eisigen Nächten von weit unter -10°C verschärften die Situation für diejenigen, die in den Statistiken als Wohnungslose bezeichnet werden. Und deren Zahl steigt deutlich. Das Problem: Man sieht sie nicht.
Alarm schlug bereits im November vergangenen Jahres die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) mit der Veröffentlichung ihrer neuesten Schätzungen. Zwischen 2001 und 2008 hatte sich die Zahl der Wohnungslosen nahezu halbiert. In den vergangenen zwei Jahren stieg sie hingegen von 227.000 auf 248.000. Eine Steigerung um rund 10%. Parallel dazu stieg die Zahl bei der Straßenobdachlosigkeit, also bei den Menschen, die ohne jegliche Unterkunft sind, ebenfalls um 10%, von 20.000 auf 22.000.
Definition fehlt
"Die Dunkelziffer liegt mit Sicherheit noch sehr viel höher", sagt Bastian
Pütter vom Straßenmagazin bodo e.V. Und das liegt vor allen Dingen an zwei Problemen. Zum einen fehlen offizielle, bundeseinheitliche Statistiken zum anderen fehlt es an einer klaren Definition, wann ein Mensch als wohnungslos gilt.
Die BAG W, als Dachverband der Wohnungslosenhilfe in Deutschland definiert folgendermaßen: "Als wohnungslos gilt, wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt." Das sind also Personen, die in Notunterkünften leben, die bei Freunden wohnen oder sich in Billigpensionen einmieten. Und eben auch: Diejenigen, die ohne jegliche Unterkunft leben. Rechtlich verbindlich ist diese Definition nicht.
Trotz der sich wieder verschärfenden Lage scheint die Situation in Dortmund im Vergleich zu anderen Ballungsräumen in Deutschland weniger dramatisch. In den eisigen Februarnächten mussten keine Kältebusse ausrücken, um Obdachlose vor dem Erfrieren zu retten. Die Übernachtungsstellen hatten für alle geöffnet, auch für diejenigen, die nicht zahlen können oder – z.B. weil aus Rumänien stammend – keinen Anspruch auf Hartz IV haben. Die Lage als gut zu bezeichnen, wäre aber eine Verharmlosung. Pütter kennt das Problem nur zu gut. "Auch, wenn wir in Dortmund eine relativ entspannte Situation vorfinden und Obdachlose nicht das Stadtbild prägen, heißt es nicht, dass die Zahl der Wohnungslosen gering ist. Oft sind diejenigen, die keinen festen Wohnsitz haben, eben die, die durch alle Raster fallen und in keiner Statistik auftauchen. Sie schlafen bei Freunden, in leerstehenden Wohnungen oder Pensionen. Sie sind wohnungslos, führen aber ein unauffälliges Leben. Und andersherum ist es genauso: Ich habe es schon oft erlebt, dass Menschen mit Isomatte und Schlafsack ganz offensichtlich draußen lebten und trotzdem noch eine gültige Adresse im Ausweis stehen hatten."
Auch Klaus-Dieter Rohe vom Sozialamt der Stadt Dortmund weiß um die Problematik, dass nicht alle Obdachlosen in Erscheinung treten. "Auch, wenn wir als Sozialamt sehr niederschwellige Angebote an die Betroffenen richten, erreichen wir trotzdem nicht jeden."
Eines dieser niederschwelligen Angebote ist die Männerübernachtungsstelle in der Unionstraße. Seit 1986 finden wohnungslose Menschen dort ein Dach über den Kopf. Aber die Unterkunft genießt nicht bei allen Hilfebedürftigen den besten Ruf. "Es herrscht immer noch das Vorurteil, dass man dort bestohlen wird", weiß Bastian Pütter. "Inzwischen hat sich dort eine Menge geändert. Längst wurden abschließbare Spinde und Schließfächer installiert. Die Betreuung erfolgt rund um die Uhr durch ausgebildete Sozialarbeiter."
Gut vernetzt
Dass die Lage in Dortmund im Gegensatz zu anderen Ballungsräumen weniger dramatisch ist, liegt laut Pütter an einer guten Vernetzung. "Es gibt ein funktionierendes Netzwerk von Hilfsangeboten für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen. Das sind sowohl städtische Angebote als auch Unterstützungen durch andere Organisationen und Vereine." Tagsüber bieten etwa das Gast-Haus an der Rheinischen Straße, der Brückentreff in der Kesselstraße und die Bahnhofsmission Hilfen in Form von warmen Mahlzeiten, Wasch- und Duschmöglichkeiten an.
Schwierig ist der Weg zurück in richtiges Wohnen. Wer auf der Straße lebt, muss überleben lernen und verlernt Wohnen. Der erste Schritt führt oft über desolate Unterkünfte, die lediglich den Vorteil bieten, warm und sicher zu sein. Als Alternative dazu, zu frieren und ausgeraubt oder verprügelt zu werden, ein kleiner Erfolg. Schwierig wird dann der zweite Schritt in ein normales Wohnen. Solange eine Wohnung existiert, sei sie noch so desolat, zahlt das Jobcenter keine – auch nur geringfügig teurere – Miete oder Kaution für eine normale Wohnung. Der Hartz IV-Regelbedarf wird zudem durch Kautionsrückzahlungen gekürzt. Nicht selten nach und neben Kürzungen wegen verpasster Termine beim Jobcenter.
In vielen Fällen muss Wohnen wieder erlernt werden. Die Diakonie bietet etwa ein sogenanntes Wohntraining an. Begleitet von Betreuern, die mehrmals in der Woche vorbeischauen, lernen die Klienten so wieder Schritt für Schritt, was es bedeutet, ein normales Leben in den eigenen vier Wänden zu führen.
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